Thrombozytenfunktionsdiagnostik am Multiplate - Übersicht

Die Thrombozytenfunktionsdiagnostik wird im mvzlm Ruhr mittels Multi-Elektroden Impedanz-Aggregometrie (MEIA) am Multiplate (Roche Diagnostics) durchgeführt. Für die Analyse der Thrombozyenfunktion sowie von Medikamenteneffekten stehen mehrere Induktoren zur Verfügung:

  • ASPItest: Aktivierung mittels Arachidonsäure >> ASS-Effekt.

  • ADPtest: ADP stimuliert die Thrombozytenaktivierung über ADP-Rezeptoren. Der wichtigste ADP-Rezeptor P2Y12 wird durch Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor und Tiklopidin gehemmt.

  • COLtest: Kollagen aktiviert den Kollagenrezeptor. Dies führt zur Freisetzung endogener Arachidonsäure, die zu TXA2 umgewandelt wird. TXA2 verstärkt die Thrombozytenaktivierung. Der COLtest wird nicht routinemäßig eingesetzt.

  • TRAPtest: TRAP-6 stimuliert den Thrombin-Rezeptor. Es ist ein sehr starker Aktivator. Seine Wirkung wird durch Aspirin oder Clopidogrel nicht blockiert. Er ermöglicht die Erfassung von GPIIb/IIIa-Antagonisten auch in Proben von Patienten, die mit Aspirin oder Clopidogrel therapiert sind. Dient uns immer als „Negativkontrolle“, kann unter ASS/Clopidogrel leicht mitreagieren, bleibt aber in der Regel noch im Normalbereich.

  • RISTOtest: von-Willebrand-Faktor- und Gplb-abhängige Aggregation (zwei unterschiedliche Konzentrationen einsetzbar). CAVE: Oft werden bei RISTOhigh leicht erniedrigte Werte bei Gesunden gefunden; wenn möglich, sollte auf diesen Test verzichtet werden. Der RISTOtest wird nicht routinemäßig eingesetzt.

Aktuell werden routinemäßig ASPItest, ADPtest und TRAPtest eingesetzt. Bei spezieller Fragestellung auch der RISTOtest.

Für die Multiplate Untersuchung sollte die Fragestellung und Medikamentananamnese  bekannt sein:

  • Abklärung einer Blutungsneigung? ► Durchführung ASPItest, ADPtest und TRAPtest (ggf. zusätzlich RISTOtest).

  • Monitoring einer antithrombozytären Therapie mit ASS und/oder Clopidogrel (Iscover, Plavix), Prasugrel, Ticagrelor ► Durchführung ASPItest, ADPtest, TRAPtest.

  • Nachweis des Therapieefeektes von GPIIb/IIIa-Antagonisten (z.B. Abciximab [ReoPro], Eptifibatid [Integrilin], Tirofiban) ► Durchführung TRAPtest. Unter GPIIb/IIa-Antagonisten-Therapie kann der Einfluss von anderen Thrombozytenfunktionshemmern (ASS, Clopidogrel etc.) im Multiplate nicht beurteilt werden, da GPIIb/IIa-Antagonisten auch die anderen Teste beeinflussen!

  • V.a. von Willebrand Jürgens-Syndrom ► Durchführung RISTOhigh, RISTOlow, TRAPtest (zusätzlich Ristocetin-Cofaktor Aktivität aus Citrat-Blut). CAVE: Sensitivität und Spezifität sind schlecht! Besser sollten die vWF-Aktivität und das vWF-Antigen quantitativ aus Citrat-Plasma bestimmt werden.

  • Patient hat thrombozytenfunktionshemmende Medikamente eingenommen und soll operiert werden – wie stark sind die Thrombozyten noch gehemmt / muss die OP verschoben werden? ► Durchführung ASPItest, ADPtest, TRAPtest.

Ist keine Fragestellung angegeben: Durchführung ASPItest, ADPtest, TRAPtest. Ohne Fragestellung erfolgt keine schriftliche Beurteilung des Befundes.


Präanalytik Multiplate

 

Um ein reproduzierbares und verlässliches Ergebnis zu erhalten, sind die nachfolgenden präanalytischen Voraussetzungen bei der Blutentnahme für eine Thrombozytenfunktionsdiagnostik am Multiplate unbedingt zu beachten. Diese finden sich auch in der aktuellen S2K-Leitlinie Diagnose von Thrombozytenfunktionsstörungen und Thrombozytopathien der AWMF so wieder AWMF-Register Nr. 086-003, Klasse: S2K]

  • Die Thrombozytenzahl sollte >80/nl, der Hkt >0,35 l/l liegen.
  • Die Abnahme muss mit einer speziellen Hirudin-Monovette (oliv, erhältlich über das Labor) erfolgen.
  • Nur venöses Blut, kein arterielles Blut entnehmen, nicht aus liegenden Kathetern.
  • Venenpunktion mit einer großlumigen Kanüle (19 bis 21 G) bei möglichst geringem Stau (maximal 40 mm/Hg).
  • Nach Punktion zunächst andere Röhrchen (z.B. Serum oder EDTA) entnehmen, ansonsten einige ml verwerfen.
  • Das Röhrchen sofort nach der Füllung durch mehrmaliges vorsichtiges Schwenken (nicht schütteln!) durchmischen.
  • Nach Entnahme rascher Transport ins Labor.
  • Kein Transport per Rohrpost.
  • Erschütterungen beim Transport vermeiden.
  • Abgabe möglichst per Handcheck.

 

 

Hirudin-Blut sollte nach der Abnahme vor Messung zirka 15 Minuten ruhen, damit sich die Thrombozyten „beruhigen“. Die Messung muss innerhalb von 3, besser 2 Stunden erfolgen.


Befundinterpretation Multiplate

 

Übersicht über Normbereich (Thrombininhibitor-Blut / Hirudin) und Befundkonstellationen



 

Normal

Befundkonstellation

Test

AUC

ASS*

Clopidogrel (Plavix) #

GPIIb/IIIa-Antagonisten@*

von Willebrand

v. Willebrand Typ IIb

ASPI Test

745 - 1361

- -

-



ADP Test

534 - 1220

bis -

-

-



TRAP Test

941 - 1563

-



COL Test

459 - 1166

-

-



RISTO Test high

896 - 2013




-

n bis -

RISTO Test low

15 - 337




n bis -

- !

* Auch Thrombozytopathien anderer Genese (angeboren, andere Medikamente, Leber- / Nierenerkrankungen) können solche Befunde machen >> Rücksprache mit dem behandelnden Arzt!

# Substanzgruppe Thienopyridine, z.B. Clopidogrel (Plavix®, Iscover®), Ticagrelor (Brilique®)

@ z.B. Abciximab (ReoPro®), Tirofiban (Aggrastat®), Eptifibatid (Integrilin®)



 

ASS1

 

ADP-Rezeptor-Antagonisten

GPIIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten



Clopidogrel2

Prasugrel

Ticagrelor

Abciximab

Integrilin

Test

ASPItest

ADPtest

ADPtest

ADPtest

TRAPtest

TRAPtest

Orale Gabe

nach 1 h

(nach 2 h)





i.v. Gabe

nach 5 min

nach 2 h



nach 5 min

nach 5 min

Normalisierung nach Absetzen

 nach 3 - 4 d

nach 7-10 d



bis 7 d

ca. 12 h

Zielbereich

<300

188 - 467

188 - 467

188 - 467



Non-Responder

< 10%

20-25%

3-5%

 ca. 17%



Bei Aspirin kann man i.d.R. von einer schnellen Resorption innerhalb von < 1 h ausgehen: “Aspirin is rapidly absorbed in the stomach and upper small intestine with plasma levels peaking 30 to 40 minutes after ingestion of non-enteric coated preparations” [4]. In der Publikation von Grove et al. [5] wurden alle Probanden 1h nach oraler Aspirin-Gabe (75 mg) als Responder mittels MEA eingestuft. “Four hours after aspirin ingestion each volunteer had MEA values below the cutoff of 300 AU*min for therapeutic aspirin effect in ASPItest” [6] .


Bei Clopidogrel ist dieser Zeitraum länger, da das Medikament nicht nur resorbiert, sondern auch in den aktiven Metaboliten umgesetzt werden muss. Bei Gabe einer Loading Dose wird in der Regel nach 2h ein deutlicher Clopidogrel-Effekt gemessen [7], wobei man findet, dass die Aggregation zum Teil nach 2h weiter abnimmt. Man kann deshalb einen Patienten, der wenige Stunden nach Loading sich als Non-Responder manifestiert auch später nochmals nachmessen, um zu sehen ob die „Non-Response“ persistiert.


In der Regel sollten bei den Clopidogrel-behandelten Patienten in etwa 20-25% Non-Responder gefunden werden, ansonsten müsste man hier nochmals schauen, ob es am Kollektiv liegt oder an lokalen Bedingungen.


Prasugrel-Nonresponder: 3-5% (Vorschlag für Cut-off 468 AU*min) 8,9,10


Referenz- / Zielbereich für Sarstedt r-Hirudin Röhrchen [AU*min]


ASPItest

ADPtest    

TRAPtest

COLtest

RISTOhigh

RISTOlow

Referenz-bereich

745 - 1361

534 - 1220

941 - 1563

459 - 1166

896 - 2013

15 - 337

Therapie mit

ASS

Clopidogrel





Vorl. Zielbereich Responder

   < 300 #, 3-5

  (< 500)

    < 400 *

< 416 1,2

< 468 1,2





Blutungsrisiko kardiol.


   ≤ 188 11,12





Blutungsrisiko kardiochir.


≤ 310 13





(Nachweis ASS-Wirkung orale Gabe: Nach 1 h, Clopidogrel 2 h, nimmt dann noch weiter ab. Normalisierung nach Absetzen von ASS nach ca. 3 Tagen, bei Clopidogrel nach 7-10 Tagen. Nach Absetzen von Abciximab Normalisierung nach bis zu 7 Tagen, nach Integrilin nach ca. 12h)


# Vollblutaggregometrie zur Kontrolle der Wirksamkeit von Azetylsalizylsäure bei Patienten mit  koronarer Herzkrankheit. K.-W. von Pape1, M. Dzijan-Horn2, J. Bohner1, M. Spannagl2, H. Weisser1, A. Calatzis2. Hämostaseologie 2007; 27: 155–160


Whole Blood Multiple Electrode Aggregometry Is a Reliable Point-of-Care Test of Aspirin-Induced Platelet  Dysfunction. Csilla Jambor, MD*, Christian F. Weber, MD‡ Konstanze Gerhardt‡ Wulf Dietrich, PhD* Michael  Spannagl, PhD*† Bernhard Heindl, PhD* Bernhard Zwissler, PhD*. Anesth Analg 2009;109:25–31)


Nach Erfahrungen der Arbeitsgruppe von Prof. Spannagl an der Uni München ist dieser Cut-Off relativ restriktiv, d.h. Patienten, die zwar eine deutliche Hemmung des ASPItests zeigen, aber keine komplette Hemmung der Zyklooxygenase aufweisen, werden als „Non-Responder“ erkannt. Deshalb verwendete diese Arbeitsgruppe einen etwas höheren Cut-Off  von  (500 AU*min).


Herstellerempfehlung (Broschüre) 2007

   416 AU*min obere Quintile nach Sibbing

   468 AU*min: Sibbing nach ROC curve

   450 AU*min: Arbeitsgruppe Spannagl


Die meisten Gruppen verwenden den Cut-Off von Sibbing et al [1-2], die Arbeitsgruppe Professor Spannagl von der Uni München verwendet einen etwas niedrigeren Cut-off von 45 U.


In der Regel sollten bei den Clopidogrel-behandelten Patienten in etwa 20-25% Non-Responder gefunden werden, ansonsten müsste man hier nochmals schauen, ob es am Kollektiv liegt oder an lokalen Bedingungen.

Prasugrel-Nonresponder: 3-5% (Vorschlag für Cut-off 468 AU*min) 8,9,10


Gründe für ein schlechtes Ansprechen auf ASS können sein

 

  • Reduzierte Bioverfügbarkeit(schlechte Compliance, falsche Dosierung, beschleunigter Metabolismus, Interaktion mit anderen Medikamenten, Comedikation mit NSAR > Konkurrenz um Bindungsstellen)

  • Alternative Plättchenaktivierung (Zytokin-vermittelte Aktivierung von COX-2, Plättchenaktivierung durch erhöhte Katecholaminspiegel, Oxidativer Stress,  Generierung von COX-1 in kernhaltigen Zellen)

  • Gesteigerter Plättchen-Turnover (im Rahmen einer Stressreaktion, Synthese frischer Plättchen, die nicht ASS exponiert sind)

  • Genetische Variabilität (Mutation u/o Polymorphismus des COX-1 Gens, thrombozytärer GP-Rezeptor Polymorphismus, Überexpression von COX-2 in Plättchen und Endothelzellen).

  • Eine echte ASS-Resistenz ist äußerst selten.

Gründe für ein schlechtes Ansprechen auf Clopidogrel können sein

 

  • Reduzierte Bioverfügbarkeit (schlechte Compliance; falsche Dosierung; beschleunigter Metabolismus; Interaktion mit anderen Medikamenten, die über Cytochrom P-450 CYP3A4 verstoffwechselt werden)

  • Individuelle Ausgangssituation (gesteigerte Basis-Aktivität der Plättchen; erhöhter BMI; Diabetes / Insulin Resistenz; stressinduzierte alternative Aktivierung; variable Metabolisierung durch Cytochrom P-450 CYP2A4)

  • Genetische Variabilität (Polymorphismus des P2Y12 Gens; Polymorphismus des P-450 CYP3A Gens)

  • Gesteigerter Plättchen-Turnover (gesteigerte Plättchenproduktion im Rahmen einer Stressreaktion; Synthese frischer Plättchen, die nicht Clopidogrel exponiert sind)

 

Literatur

1.      Sibbing, D., et al., Platelet reactivity after clopidogrel treatment assessed with point-of-care analysis and early drug-eluting stent thrombosis. J Am Coll Cardiol, 2009. 53(10): p. 849-856.

1. a  Sibbing D. et al. Clopidogrel response status assessed with Multiplate point-of-care analysis and the incidence and timing of stent thrombosis over six months following coronary stenting. Thromb Haemost. 2010 Jan;103(1):151-9

2.      Bonello, L., et al., Consensus and future directions on the definition of high on-treatment platelet reactivity to adenosine diphosphate. J Am Coll Cardiol, 2010. 56(12): p. 919-933.

3.      Rahe-Meyer, N., et al., An evaluation of cyclooxygenase-1 inhibition before coronary artery surgery: aggregometry versus patient self-reporting. Anesth Analg, 2008. 107(6): p. 1791-1797.

4.      Grove, E.L., Antiplatelet effect of aspirin in patients with coronary artery disease. Dan Med J, 2012. 59(9): p. B4506.

5.      Grove, E.L., et al., A comparison of platelet function tests and thromboxane metabolites to evaluate aspirin response in healthy individuals and patients with coronary artery disease. Thromb Haemost, 2010. 103(6).

6.      Jámbor, C., et al., Whole blood multiple electrode aggregometry is a reliable point-of-care test of aspirin-induced platelet dysfunction. Anesth Analg, 2009. 109(1): p. 25-31.

7.      Muller, I., et al., Effect of a high loading dose of clopidogrel on platelet function in patients undergoing coronary stent placement. Heart, 2001. 85(1): p. 92-3.

8.      Aradi, D., et al., Inter-patient variability and impact of proton pump inhibitors on platelet reactivity after prasugrel. Thromb Haemost, 2011. 107(2).

9.      B. Eber, T.W., E. Lassnig, M. Rammer, M. Ammer, E. Maurer, Aktuelles: Prasugrel (Efient(R)) im Vergleich zu Clopidogrel in hoher Dosierung bei akutem koronaren Syndrom - Präsentation und Interpretation der ACAPULCO-Studie. Journal für Kardiologie - Austrian Journal of Cardiology, 2010; 17(3–4): p. 2.

10.   Montalescot, G., et al., Prasugrel compared with high-dose clopidogrel in acute coronary syndrome. The randomised, double-blind ACAPULCO study. Thrombosis and haemostasis, 2010. 103(1): p. 213-23.

11.   Sibbing, D., et al., Platelet aggregation and its association with stent thrombosis and bleeding in clopidogrel-treated patients initial evidence of a therapeutic window. J Am Coll Cardiol, 2010. 56(4): p. 317-318.

12.   Sibbing, D., et al., Antiplatelet effects of clopidogrel and bleeding in patients undergoing coronary stent placement. J Thromb Haemost, 2010. 8(2): p. 250-256.

13.   Ranucci, M., et al., Multiple electrode whole-blood aggregometry and bleeding in cardiac surgery patients receiving thienopyridines. Ann Thorac Surg, 2011. 91(1): p. 123-129.


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06-2021

Dr. med. Yuriko Stiegler

Ärztliche Leitung, Geschäftsführerin

Medizinisches Versorgungszentrum

für Labormedizin und Mikrobiologie Ruhr GmbH

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